Das geodätische Rechnen wurde durch den Übergang von der Logarithmentafel zur Rechenmaschine erheblich vereinfacht. Das Maschinenrechnen konnte jedoch das Tafelrechnen nicht vollständig verdrängen, da die Funktionswerte — wenn wir von den neuen programmgesteuerten Rechenmaschinen absehen —&n nach wie vor Tafeln entnommen werden müssen. Diese Super-Rechenmaschinen, die mit völlig neuen Rechenelementen arbeiten, sind auch in der Lage, bestimmte Funktionen vollautomatisch zu berechnen. Ihr Preis ist jedoch so hoch, daß er nur für große Rechenbüros erschwinglich ist.
Die maschinelle Funktionsberechnung läßt sich aber auch wie vom Verfasser bereits 1941 gezeigt werden konnte [1], mit sehr viel einfacheren Mitteln durch einen entsprechenden Ausbau der normalen Rechenmaschinen erreichen. Die Entwicklung einer Versuchsmaschine für die Auswertung astronomischer Ortsbestimmungen [1], [2] blieb durch die Kriegsereignisse leider unvollendet. Inzwischen war es jedoch möglich, dank der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, eine handbetriebene Funktionsrechenmaschine mit fünfstelliger Genauigkeit und eine vollautomatische Funktionsrechenmaschine mit achtstelliger Genauigkeit in der Werkstatt des Geodätischen Instituts der Technischen Hochschule Stuttgart zu entwickeln [3], [4], [5], [6].
Eine normale Rechenmaschine läßt sich dadurch zur
Funktionsrechenmaschine ausbauen, daß sie mit einem Speicherwerk versehen
wird, das bestimmte Ausgangswerte für eine oder mehrere Funktionen
enthält, aus denen die gesuchten Funktionswerte berechnet werden
können. Die Anzahl und Art der zu speichernden Ausgangswerte und der
Rechengang können vielseitig abgewandelt
Die technische Lösung wird besonders einfach, wenn das
Prinzip der linearen oder einstufigen Interpolation angewendet wird. In diesem
Falle wird die
Funktion f(x) innerhalb des verlangten Rechenbereichs in eine
Anzahl Intervalle unterteilt. Innerhalb jedes einzelnen Intervalls
gn(x) = an + bn (x - xn) = an + bn Δx | (1) |
Bild 1. Außenansicht der Versuchsmaschine mit einstufiger Interpolation. |
In Bild 1 ist die Versuchsmaschine mit
einstufiger Interpolation abgebildet. Es ist eine normale Sprossenradmaschine
mit Handantrieb**. Sie
wurde mit einem Speicherwerk versehen, dessen Wertträger auswechselbar
ist und jeweils drei Funktionen aufnehmen kann. Für die Versuche wurden
zwei Wertträger angefertigt, einer für die Funktionen
Die einzelnen Ziffern der gespeicherten Zahlenwerte werden durch verschieden tiefe Schlitze am Umfang ursprünglich kreisrunder Stufenscheiben dargestellt,
Bild 2. Stufenscheibe zur Verkörperung der Ziffern der gespeicherten Werte. |
Bild 3. Schematische Darstellung der Funktionsrechenmaschine mit einstufiger Interpolation. |
Bild 4. Querschnitt durch die Funktionsrechenmaschine mit einstufiger Interpolation. |
Die Bedienung der Funktionsrechenmaschine soll am Beispiel der Berechnung eines sin- bzw. cos-Wertes erläutert werden. Der Funktionshebel F, Bild 1, wird auf sin oder cos und den Quadranten eingestellt. Die Trommelteilung T1 wird durch Drehen auf die volle Gradzahl (Grundargument) eingestellt. Dann wird der Schlitten Sch in die durch Pfeile gekennzeichnete Übertragungsstellung gebracht und der Übertragungshebel 3 bis zum Anschlag nach vorn gezogen und wieder in seine Grundstellung zurückbewegt. Dadurch wird der Grundwert in das Einstellwerk E übertragen. Von dort wird er durch eine positive Drehung der Handkurbel H in das Resultatwerk R übertragen. Anschließend wird der Übertragungshebel 3 nochmals bedient, wodurch das Einstellwerk E zunächst gelöscht und dann auf den Steigungswert eingestellt wird. Hierauf werden die Minuten und Sekunden des Winkels (Restargument) durch positive oder negative Kurbelumdrehungen entsprechend der automatischen Einstellung des Vorzeichenhebels V in das Umdrehungszählwerk U eingekurbelt. Dann steht im Resultatwerk R der gesuchte sin- bzw. cos-Wert, dessen Vorzeichen am Funktionshebel F abgelesen werden kann.
Soll der berechnete Wert
Soll umgekehrt aus
Die mechanische Tangenstafel ist für Winkel zwischen
0g und 50g, also für
Tangenswerte zwischen 0 und 1, angelegt. Ist das Argument
α>50g,
so muß es zum nächstgelegenen Hundertgradwert ergänzt werden,
um das Hilfsargument
β<50g zu erhalten.
Dieses wird durch direkte Interpolation in
Die Berechnung eines Winkels aus einem Tangens- bzw.
Cotangens-Wert kann mit der mechanischen Tangenstafel durch inverse
Interpolation erfolgen. Besser dafür geeignet ist die mechanische
arctg-Tafel, welche eine direkte Interpolation
gestattet. Sie ist besonders für die Richtungswinkelberechnung aus
Koordinatenunterschieden Δy und
Δx geeignet. Hierzu wird ohne Rücksicht auf das
Vorzeichen die kleinere Differenz durch die größere unter Beachtung
der auf der Maschine markierten Kommastellungen dividiert. Hierauf wird der
im Umdrehungszählwerk erscheinende Wert
Die mechanische Quadratwurzeltafel wurde als Quadrattafel angelegt, um aus im Resultatwerk stehenden Quadratzahlen ohne Neueinstellung die Quadratwurzel ziehen zu können. Als Grundwert wurde nicht xn² sondern xn gespeichert. Der Rechengang ist folgender: x² wird im Resultatwerk z.B. als Summe der Quadrate der beiden Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks erzeugt. Dann wird das Komma um 2 n-Stellen nach links bzw. rechts verschoben, wobei n so gewählt wird, daß die neue Quadratzahl x'² zwischen 1 und 100 liegt.
Anschließend wird der Funktionshebel auf
und die Trommelteilung auf
die zu x'² nächst kleinere Quadratzahl eingestellt. Dadurch wird der
Speicherkörper auf den nächstgelegenen Grundwert
x'n eingestellt. Durch Ziehen des
Übertragungshebels wird xn' in das Einstellwerk
übertragen und durch negative Kurbelumdrehungen quadriert, so daß
im Resultatwerk
Bilden wir die Funktionsrechenmaschine als Doppelmaschine aus,
so ergeben sich für viele Rechnungen weitere Vorteile. Wir können
dann z.B. in einem Rechengang gleichzeitig
Interpolieren wir eine Funktion f(x) in einem Intervall von der Breite h linear, so ist der maximale Interpolationsfehler
|
(2) |
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(3) |
|
(4) |
Wir erkennen, daß die mechanische sin- bzw. cos-Tafel etwa
so genau ist wie eine gedruckte fünfstellige Tafel. Die mechanischen Tafeln
für
Mech. Tafel | Rechen- operation |
Bereich | h | Fehler an der Stelle x |
Max. Fehler | |
---|---|---|---|---|---|---|
Betrag | Stelle | |||||
sin cos | sin x aus x cos x aus x |
0g....100g 0g....100g |
1g 1g |
< |1.5×10-5× sin x| < |1.5×10-5× cos x| |
1.5×10-5 1.5×10-5 |
100g 0g |
sin | x aus sin x* | 0g...100g | 1g | < |9.8cc tg x| < |6.4cc sec x| |
12.7c 20c | 99.5g 99.8g |
mit 5-stelliger Tafel* | ||||||
arc tg | x aus tg x | 0....1 (0g...50g) |
0,01 | < |8.0cc × sin x × cos³x| < |6.4cc × cos²x| |
2.6cc 6.4cc |
34g 0g |
mit 5-stelliger Tafel* | ||||||
arc tg | tg x aus x* | 0g...50g | 0,01 | < |0.6×10-5 × sin 2 x| |dx| < |8.0cc × sin x × cos³x| |
0.6×10-5 2.6cc |
50g 34g |
arc tg | 1/tg x aus x* | 0g...50g | 0,01 | < |1.2×10-5 × cos³x/sin x| |dx| < |8.0cc × sin x × cos³x| |
2.6cc |
0g 34g |
tg | tg x aus x | 0g...50g | 0,5g | < |0.8×10-5 × tg x/cos²x| | 1,5×10-5 | 50g |
tg | 1/tg x aus x | 0g...50g | 0,5g | < |0.8×10-5 × tg x/sin²x| |dx| < |4.9cc × tg x| |
4.9cc |
0g 50g |
sec tg | sec x aus tg x | 0...1 | 0,01 | < |0.6×10-5 × cos³x| | 0.6×10-5 | 0g |
x aus * | x²=1...100 x=1...10 |
0,08...2,84 | < 2.6×10-4 | 2.6×10-4 | - |
Die mechanische Quadratwurzeltafel ist, wenn wir nur 100 Grund- und 100 Steigungswerte speichern, nicht so genau wie die trigonometrischen Tafeln gleichen Umfangs. Sie erreicht auch nicht die Genauigkeit der üblichen vierstelligen Quadrattafeln deren Maximalfehler zwischen 0,5×10-4 (x=1) und 0,5×10-5 (x=10) liegen. Die Genauigkeit reicht jedoch für fast alle im praktischen Vermessungswesen vorkommenden Quadratwurzelrechnungen (z.B. Spannmaßberechnungen) aus.
Die in Tabelle 1 aufgeführten Fehler stellen die reinen Interpolationsfehler dar. Hierzu kommt noch der Einfluß der Abrundungsfehler der gespeicherten Werte, der sich jedoch durch Erhöhen der Stellenzahl leicht beliebig klein halten läßt. Bei der Versuchsmaschine wurde die Stellenzahl der gespeicherten Werte so abgestimmt, daß der Einfluß der Abrundungsfehler höchstens 2/10 der maximalen Interpolationsfehler beträgt.
Die Genauigkeit läßt sich durch Verkleinern der Intervallschritte h steigern. Der Interpolationsfehler nimmt dann proportional h² ab. Dadurch kann die Genauigkeit der einstufigen Interpolation bis auf etwa 10-6 echöht werden. Für eine weitere Genauigkeitssteigerung ist es zweckmäßiger, die zwei- oder mehrstufige Interpolation anzuwenden [6], um den Umfang der mechanischen Tafeln klein zu halten. Eine kleine Genauigkeitssteigerung der einstufigen Interpolation ist auch dadurch möglich, daß die Intervallbreite stufenweise so geändert wird, daß die Genauigkeit im ganzen Rechenbereich etwa gleich ist. Hiervon wurde bei der mechanischen Quadratwurzeltafel Gebrauch gemacht.
Bild 5. Vergleich der Rechensicherheit der Funktionsrechenmaschine mit einstufiger Interpolation (F) mit der Rechensicherheit der üblichen Tafel- und |
Die Versuchsmaschine wurde von den Studierenden der Geodäsie der Technischen Hochschule Stuttgart eingehend erprobt und mit den Berechnungen mit gewöhnlicher Rechenmaschine und gedruckter Funktionstafel verglichen [7]. Die wichtigsten Ergebnisse der Erprobung der Rechensicherheit sind in Bild 5 dargestellt, das die Anzahl der Fehler, aufgeteilt nach ihren Ursachen, für sieben verschiedene Rechenbeispiele zeigt. Wir erkennen, daß die Zahl der Rechenfehler bei der Funktionsrechenmaschine (F) wesentlich kleiner ist als bei der üblichen Tafel- und Maschinenrechnung (T). Fassen wir alle Fehler zusammen, so ergibt sich das
Berücksichtigen wir nur die reinen Funktionsfehler, so ergibt sich das
Die Fehler der Rechnungen mit der FRM setzen sich wie folgt zusammen:
Zahl der Fehler bei Argumenteinstellung | 35 % |
Zahl der Fehler außerhalb Funktionsberechnung | 26 % |
Zahl der Fehler beim Bilden von Komplementzahlen | 13 % |
Zahl der Bedienungsfehler | 12 % |
Zahl der Quadrantenfehler | 10 % |
Zahl der sonstigen Fehler | 4 % |
100 % |
Das Rechnen mit der Funktionsrechenmaschine bringt auch in den
meisten Fällen einen beträchtlichen Zeitgewinn (bei der einfachen
Maschine 17...30%, bei der Doppelmaschine 33...50%). Nur das
Quadratwurzelziehen und die Berechnung von tg-Werten
Die Genauigkeit der einstufigen Interpolation ist begrenzt durch die Anzahl der Werte, die im Speicherwerk untergebracht werden können. Wollen wir die Genauigkeit erheblich steigern, ohne das Speichervolumen wesentlich zu vergrößern, so müssen wir zwei- oder mehrstufig interpolieren. Wir wollen uns im folgenden auf die zweistufige Interpolation beschränken. Hier wird die zu berechnende Funktion f(x) innerhalb der einzelnen Interpolationsintervalle durch die Näherungsfunktion
gn(x) = an + bn Δx + cn Δx², | (5) | |
Δx = x - xn |
gn(x) = (cn Δx + bn) Δx + an, | (5) |
Bild 6. Prinzipskizze der Funktionsrechenmaschine mit zweistufiger Interpolation. |
1. | Übertragung von cn nach R und von dort nach M; |
2. | Übertragung von bn nach R; |
3. | Übertragung von Δx nach E; |
4. | Multiplikationsgang. In R steht (cn Δx + bn); |
5. | Übertragung von (cn Δx + bn) aus R nach M; |
6. | Übertragung von Δx nach E; |
7. | Übertragung von an nach R; |
8. | Multiplikationsgang. In R steht gn(x). |
Nach diesem Prinzip wurde in der Werkstatt des Geodätischen
Instituts der TH. Stuttgart mit Unterstützung durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft eine Versuchsmaschine gebaut. Der Aufbau dieser Maschine
ist in Bild 7 schematisch dargestellt. Als Grundmaschine wird
eine vollautomatische Rechenmaschine Madas
Bild 7. Schematische Darstellung des Funktionsautomaten. |
Das Funktionsspeicherwerk FS enthält je 100 Faktoren
an, bn,
cn für die Berechnung der Funktionen
Der Rechengang läuft vollautomatisch ab. Hierzu dienen mit den Bedienungstasten verbundene Steuerhebel, welche durch die auf der Steuerwelle 7 sitzenden Steuerscheiben entsprechend dem Rechenprogramm mit den auf der rasch umlaufenden Nockenwelle 18 sitzenden Nocken gekoppelt werden.
Bild 8. Außenansicht des Funktionsautomaten. |
Ein vorläufiger Zeitvergleich zwischen der automatischen Funktionsberechnung und der maschinellen linearen Interpolation nach einer gedruckten achtstelligen Funktionstafel ergab für Einstellung, Berechnung und durchgreifende Rechenkontrolle folgende Zeiten für einen Funktionswert:
Funktionsautomat | 48 sec |
Rechenmaschine + achtstellige Tafel | 151 sec |
Zeitgewinn | 103 sec. |
Der große Zeitbedarf für die Funktionsberechnung mit Rechenmaschine und Tafel rührt davon her, daß hier wegen der zahlreichen Fehlerquellen eine Zweitberechnung für eine sichere Kontrolle unerläßlich ist. Beim Funktionsautomat ist die Kontrolle sehr einfach. Es genügt, die eingestellte Funktion und das eingestellte Argument zu überprüfen. Da die Kontrolle während des automatischen Rechenablaufs erfolgen kann, bedeutet die hauptsächlich durch zwei zehnstellige Multiplikationen bedingte lange Rechenzeit der Maschine kaum einen Zeitverlust.