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Societas Scientiarum Fennica.
Commentationes Physico-Mathematicae. X. 7.

Über das Nyströmsche Stieltjesplanimeter

von

E. Laurila

Am 20. Februar 1939 von E.J. Nyström und Ernst Lindelöf vorgelegt.

Unter der Bezeichnung Stieltjesintegral versteht man ein Integral der Form

(1)
I =  t2

t1 
ƒ(t) h'(t) dt =  t2

t1 
ƒ(t) d h(t)

wo ƒ(t) und h(t) gegebene Funktionen des Parameters t sind. In der Naturwissenschaft und der Technik ergeben sich oft Probleme, bei deren Lösung die numerische Auswertung eines Integrals dieses Typus auftritt. Für die am häufigsten vorkommenden Spezialfälle des Integrals (1) hat man Instrumente konstruiert, die je nach ihrer Aufgabe in Potenz-, Produkt- und Funktionsplanimeters1) eingeteilt werden. Für jedes solche Planimeter ist entweder ƒ(t) oder h(t) eine ganz bestimmte Funktion.

Ein eigentliches Stieltjesplanimeter wurde von Nessi und Nisolle2) konstruiert. In ihrem Apparat setzt man die Kurve x = h(t) in Form eines verstellbaren Stahllineals ein und führt den Fahrstift die andere Kurve y = ƒ(t) entlang. Ein mit dem Apparat verbundenes Kugelrollplanimeter wertet dann das Integral (1) aus. Das Instrument ist ziemlich gross und kompliziert.

Ein anderes Stieltjesplanimeter hat Nyström3) konstruiert. Dieses Instrument entsteht aus dem bekannten harmonischen Analysator Mader-Ott4) durch Hinzufügung eines einfachen Zusatzgerätes. Bei diesem Instrument wird die Kurve y = ƒ(t) auf ein auf fester Unterlage liegendes Papier gezeichnet, während die Kurve x = h(t) auf ein bewegliches Papier bestimmten Formats kommt. Zur Anwendung sind zwei Personen erforderlich: Die eine führt den Fahrstift des Analysators längs der Kurve y = ƒ(t) und die andere hält eine Fahrmarke des Zusatzgerätes auf der vorbeigleitenden Kurve x = h(t). Weil es sich hier um zwei graphisch gegebene Kurven handelt, stellt die mechanische Integration mit diesem Instrumente fast keine Bedingungen an die Form der betreffenden Funktionen, wie es sich bei dem oben erwähnten Apparat von Nessi und Nisolle verhält, wo die andere Kurve als eine gebogene Feder eingesetzt wird.

Es gibt jedoch oft Fälle, wo die eine der Funktionen, und zwar h(t), in einer ganzen Reihe von Integrationen die gleiche ist, während nur die andere, ƒ(t), variiert. Bei solchen Berechnungen bedeutet die Notwendigkeit zweier Personen zur Bedienung des Planimeters grossen Zeit- und Arbeitsverlust. Da die meisten besagten Aufgaben der Technik in die genannte Klasse gehören, bringt das Stieltjesplanimeter erst dann vollen Nutzen, wenn es auch die Möglichkeit zulässt, die Tätigkeit der einen Person zu mechanisieren.

Das Nyströmsche Stieltjesplanimeter kann aber leicht in einer solchen Form ausgeführt werden, dass die eine Kurvenführung zwangläufig wird, welche Möglichkeit Nyström auch (auf S. 16. loc. cit.) angedeutet hat. Weil die praktische Bedeutung des Instrumentes in dieser Ausführungsform wesentlich grösser erscheint, hat der Verfasser das Zusatzgerät zum Mader-Ott'schen Analysator neu konstruiert und gebaut.


Abb. 1

Abb. 2

Das Neue Stieltjesplanimeter.

Durch Überpüfung des neuen Zusatzgerätes zum Analysator Mader-Ott entsteht das Stieltjesplanimeter, welches Abb. 1 darstellt. Abb. 2. zeigt den Analysator selbst und die Teile des Zusatzgerätes auseinandergenommen. Die Kurve y = ƒ(t) ist in einem (t,y)-Koordinatensystem gezeichnet, dessen y-Achse der Laufschiene L des Analysators parallel ist. Längs dieser Kurve führt man den Stift S des um den Zapfen C drehbaren 90°-Winkelhebels A, A'.

Mit zwei unter dem Wagen V vorhandenen Schrauben wird eine gebogene, mit einem Gewicht versehene Stange T an diesem Wagen befestigt. Das Schienenpaar R kann mittels dreier Zapfen, welche sich in drei Achsenlöcher der Analysatorzahnräder stecken lassen, auf dern grossen Wagen TV befestigt werden, und zwar so, dass die Richtung der Schienen mit der t-Richtung der (t,y)-Ebene zusammenfällt. Mit zwei Zapfen und entsprechenden Löchern liegt das kleine Reissbrett k des Formats 30 × 21 cm auf den beiden Enden der Stange F und gleitet auf zwei kleinen Rollen rr' des Schienengestells R in der Laufschienenrichtung mit dem Wagen V. Auf das Brett zeichnet man das rechtwinklige Koordinatensystem (t',x) so, dass die Richtung der xAchse mit der Richtung der Schienen R übereinstimmt. In diesem System stellt man als Kurve x = h(t') eine Stahlfeder k von 0,6 mm Dicke ein. Auf die Schienen R legt man dann den dritten Wagen U mit einem um eine lotrechte Achse drehbaren Rollenpaar N, welches in die Federkurve eingreift. Dieser Wagen ist mit einem Gewicht g von 50 g belastet. Am Wagen befindet sich eine kleine Vertiefung, in welche der Fahrstift F, des Polarplanimeters P eingesetzt wird. — Es besteht auch die Möglichkeit, eine mit Fahrmarke versehene Lupe M an dem Wagen U zu befestigen.

Wenn man nun mittels des Hebelarms A' den Wagen V und mit diesem auch das Reissbrett k in bezug auf die Schienen R in der t'-Richtung bewegt, verschiebt die nach der Funktion h(t') geformte Feder k mittels des Rollenpaares den Wagen U und gleichzeitig also auch den Planimeterstift F in der x-Richtung. Der Mechanismus arbeitet noch bei einem Tangentenwinkel der h-Kurve φ = 70° gegen die t'-Achse ohne jede Nachhilfe.


Theorie des Stieltjesplanimeters.

Zur Erklärung des Arbeitsprinzips des Stieltjesplanimeters betrachten wir eine schematische Skizze des Instrumentes (Abb. 3.). Die Bezeichnungen sind dieselben wie oben.

Die Figuren auf dem festen bzw. beweglichen Reissbrett sind so angeordnet, dass der Punkt N, die lotrechte Achse des Rollenträgers, über der x-Achse liegt, wenn der Stift S auf der y-Achse steht. Bezeichnen

Abb. 3
wir mit t und t' die Entfernungen der Punkte S und N von der y- bzw. x-Achse, so ist nach der Figur

   t' : t = A' : A.

Damit die Punkte S und N auf den ƒ(t)- und h(t)-Kurven demselben Parameterwert entsprechen, müssen die Einheiten der t- und t'-Achsen in dem Verhältnis der Hebelarme A : A' zueinander stehen.



Abb. 4

Steht S auf einem dem Parameterwert t entsprechenden Punkt der Kurve y = ƒ(t), so sind die Koordinaten des Punktes F in einem System, dessen Achsenrichtungen mit der x- und y-Richtung zusammenfallen, in Parameterform

(2) ξ = h(t) + C,  η = ƒ(t) + v(t).
Bewegt sich S längs der Kurve y = ƒ(t) von t1 bis t2, so zeichnet F eine Kurve (Abb. 4), deren Gleichung in Parameterform (2) ist. Den y-Parallelen t = t1 und t = t2 entsprechen zwei η-Parallele ξ = ξ1 und ξ = ξ2 (Abb. 4.). Die t-Achse schliesslich transformiert sich zu der Kurve
(3) ξ = h(t) + C, η0 = v(t).
Wenn man nun als Flächenelement der von F umfahrenen (ξ,η)-Fläche einen Streifen von ξ bis ξ + dξ ansieht, so ist der von dem Planimeter P gemessene Flächeninhalt
(η − η0) dξ = ƒ(t) dξ = ƒ(t) d h(t).

Das Planimeter liefert also das gesuchte Integral (1).

Es erweist sich als sehr wichtig, dass die Einheiten der t- und t'-Achsen nicht gleich sein müssen, sondern nur im Verhältnis A : A' zueinander zu stehen haben. Da man nämlich bei dem Ott'schen Analysator die Länge des Fahrarms A zwischen 2,5 und 37 cm variieren kann, während A' 24 cm lang ist, hat man auch die Möglichkeit die Einheit der t'-Achse in weiten Grenzen verschieden zu wählen. Andererseits wird durch eine Veränderung der x-Einheit das Resultat nur mit einem konstanten Faktor multipliziert. Durch passende Wahl der t'- und x-Einheiten kann man fast immer, wenn die Kurve h(t) eine stetige Tangente hat, erreichen, dass der grösste Neigungswinkel dieser Kurve gegen die t'-Achse kleiner als 70° wird, welches die Bedingung für das vollkommen selbständige Arbeiten des Gerätes ist.

Die Genauigkeit der mit dem Instrument ausgeführten Messungen.

Wenn man in dem Integral (1) als h(t) die Funktion

x = h(t) = k · t.

wählt, so geht (1) in die Form

(4) I = ƒ(t) d h(t) = k ƒ(t) dt

über. Das Stieltjesplanimeter liefert also mit dieser h-Kurve der k-fachen Flächeninhalt des von der Kurve y = ƒ(t) begrenzten Gebietet in der (t,y)-Ebene. Dieser Fall bietet eine gute Möglichkeit, die Messgenauigkeit des gebauten Instrumentes zu prüfen.

Zu diesem Zweck diente ein besonderes gerades Federlineal dessen Ausmasse denen der biegsamen Feder gleich waren. Um den Umfahrungsfehler zu vermeiden, wurde als Kurve y = ƒ(t) die Grenzkurve der Kontrollfläche eines Polarplanimeters gewählt. Diese war ein Kreis von 9980 mm² Flächeninhalt. Die Einheiten auf jeder Koordinatenachse wurden gleich gross gewählt, infolgedessen musste der Stift S in der Entfernung A = 24 cm von dem Winkelscheitel angebracht werden.

Die Messungen wurden für die Kurven

x = 0,25 t, x = 0,50 t, x = 0,75 t, x = 1,00 t, x = 1,25 t

ausgeführt. Die Resultate sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Tabelle I.
k0,250,500,751,001,25
Gemessene Werte des Integrals (4) 248
248
247
248
248
497
497
498
497
498
746
746
746
746
746
994
994
904
993
994
1242
1243

1242
1241
1241
Mittel247,8497,7746993,81241,8
Abweichung vom exakten Wert−1,7−1,6−2,5−4,2 −5,7

Die Zahlen jeder Messungsreihe stimmen bis auf eine Noniuseinheit (= 10 mm²) des Polarplanimeters überein. Dagegen zeigt sich ein systematisch mit k steigender Fehler in den Messungsergebnissen. Dieser Fehler rührt aus dem Toten Gang bei dem Zusatzgerät her, welcher Gang hauptsächlich zwischen dem Rollenpaar und der Gleitkurve stattfindet.

Wie man sieht, sind die relativen Fehler immer < 0,7 %, was man als befriedigend ansehen kann. Übrigens sind die Fehler zum grössten Teil nur individuelle Fehler des gebauten Exemplars. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein nach derselben Konstruktion von einem Fachmann gebauter Apparat viel kleinere Fehler aufweisen wird.

Das Stieltjesplanimeter als Ersatz für Spezialinstrumente.

Wie schon früher bemerkt ist das Stieltjesintegral (1) eine sehr allgemeine und anpassungsfähige Form für manche in der Naturwissenschaft und der Technik vorkommende Aufgaben. Wir wollen nun betrachten, wie das beschriebene Stieltjesplanimeter die für solche Aufgaben gebauten Spezialplanimeter ersetzen kann.

1. Statisches Moment. Zur mechanischen Bestimmung des statischen Moments einer ebenen Figur sind mehrere Momentenplanimeter gebaut worden5). Zum grössten Teil gründet sich die Arbeitsweise dieser Instrumente auf ein und dieselbe kinematische Grundlage, nämlich auf das Prinzip der Winkelverdoppelung.

Das statische Moment einer von der Kurve y = ƒ(t) begrenzten Fläche in bezug auf die y-Achse ist als Integral

(5) M1 = ƒ (t) t dt = ƒ(t) d(½ t²)

zu berechnen. Es handelt sich hier also um ein Stieltjesintegral, wobei die Kurve x = h(t) eine gewöhnliche Parabel ist. Wenn man die Stahlfeder in dieser Form auf dem beweglichen Reissbrett befestigt hat, arbeitet unser Instrument als Momentenplanimeter.

Tabelle II.
Abstand des Kreismittelpunkts von der Achse −0,150,000,250,500,75
Gemessener Wert für das st. Mom.
Berechneter Wert
Fehler in %
−149,3
−149,7
0,3
0,2
0,0
248,5
249,5
0,4
495,6
499,0
0,7
744,4
748,5
0,6

Tabelle II zeigt die Resultate einer Messungsreihe über das statische Moment des obenerwähnten Kontrollkreises in bezug auf verschiedene Achsen. Wie man sieht, bleiben die Instrumentfehler (der Umfahrungsfehler ist ja = 0) auch im ungünstigsten Fall unter 1 %.

2. Trägheitsmoment. Wählt man als Gleitkurve die kubische Parabel

x = 13 t³,

so misst das Stieltjesplanimeter den Wert des Integrals

(6) M2 = ƒ(t) d (13 t³) = ƒ(t) t² dt,

also das Trägheitsmoment der Fläche y = ƒ(t) in bezug auf die y-Achse6).

Mit dem Instrument wurde das Trägheitsmoment eines Normalprofils, welcher in Figur 1. zu sehen ist, von sechs Personen7) bestimmt. Der Wert des Moments sollte in Messungseinheiten 321,3 betragen. Die Resultate sind in Tabelle III gegeben.

Tabelle III.
PersonIIIIIIIVVVI
Mittel von 5 Messungen
Mittlerer Fehler des Mittels
Abweichung in % vom Mittel aller
  Messungen (322,3)
322,4
1,1

324,0
1,1
0,5
320,4
1,4
0,8
322,6
1,8
0,1
323,4
0,5
0,3
321,2
0,7
0,3

3. Das allgemeine Moment einer Fläche y = ƒ(t) in bezug auf die y-Achse wird durch das Integral

(7) Mn = ƒ(t) tn dt

definiert. Zur Bestimmung dieser Momente für ganzzahlige n > 2 können die Integraphen8) dienen. Mit dem Stieltjesplanimeter kann man alle diese Integrale, und zwar für jeden reellen Wert von n, berechnen, wenn man als h-Kurve, die Kurve x = tn+1, für n = −1 die Kurve x = log t wählt.

Besonders zahlreich sind die Instrumente, die unter dem Namen Funktionsplanimeter zur Bestimmung der Integrale von der Form

(8) J = F(y(x)) dx = F(y) dx

gebaut sind. Dabei ist für jedes solche Instrument die äussere Funktion F(y) nicht wilkürlich, sondern ganz bestimmt und durch die Konstruktion des Apparats gegeben. Im Integral (8) braucht man nur y = y(x) statt x als unabhängige Variable anzusehen, um den Zusammenhang mit dem Stieltjesintegral. zu finden:

(8') J = F(y) dx(y).

Hier ist es wichtig zu bemerken, dass bei der Berechnung eines Stieltjesintegrals über einer geschlossenen Fläche die Funktionen ƒ(t) und h(t) in (1) miteinander vertauschbar sind. Integriert man nämlich partiell

ƒ(t) dh(t) = [ƒ(t) h(t)] − h(t) dƒ(t),

so verschwindet das erste Glied der rechten Seite, weil die Anfangs- und Endwerte des Parameters t zusammenfallen. Bei der mechanischen Bestimmung des Integrals (1) mittels Stieltjesplanimeter kann man also ohne weiteres die Kurven vertauschen.

Kommt das Integral (8) bei einem Problem vor, so handelt es sich meistens um den Fall, wo die äussere Funktion F(y) in einer Reihe von Bestimmungen ein und dieselbe ist. Nach obiger Überlegung kann man nun gerade diese unveränderliche Kurve F(y) als gebogene Feder in dein Instrument einsetzen, und die verschiedenen x(y)-Kurven nacheinander mit dem Fahrstift S umfahren.

Alle Momentbestimmungen kann man auch als Sonderfälle des Integrals (8) ansehen. Die ursprüngliche Definition des Momentes als Doppelintegral

Mn = xn dx dy

führt zu zwei einfachen Integralen:

Mn = y xn dx =   1  
n + 1
xn+1 dy.

Von dem Faktor abgesehen kann z.B. das statische Moment als Integral

(9) M1 = y² dx

definiert werden. Dies ist eben der Fall (8), wo nun als äussere Funktion die gewöhnliche Parabel eintritt. Dieser Fall kommt auch im eigentlichen Sinn des Integrals (8) in der Praxis vor, nämlich bei der

4. Bestimmung von Effektivwerten aus Wechselstromkurven9). Wenn die Kurven etwa mit einem Oszillographen aufgenommen sind, braucht man nur mit dem Stieltjesplanimeter das Integral (9) über eine Periode zu bestimmen, um dann den gesuchten Effektivwert aus dem Ausdruck

Ieff =  1 
T
y² dx

zu erhalten.

5. Das Wurzelplanimeter dient zur Bestimmung von Durchflussmengen z.B. aus Pitot- oder Venturirohrdiagrammen, wo die Druckdifferenz als Ordinate y registriert wird. Da die Strömungsgeschwindigkeit mit y proportional ist, hat man das Integral

(10) U = y dx

auszuwerten. Hierfür sind Wurzelplanimeter10) konstruiert worden.

Die äussere Funktion in diesem Integral ist eine Wurzelfunktion in welcher Form die Feder also anzubringen ist. Diese Kurve hat nur im Ursprung einen Tangentenneigungswinkel von 90° gegen die t'-Achse. Wenn die Kurve y(x) sich der Abszissenachse nähert, muss man dem Wagen U mit der linken Hand bei seiner Bewegung helfen (Ähnlich muss man auch bei den üblichen Wurzelplanimetern verfahren.)


Abb. 5.

Diese Schwierigkeit kann man jedoch gänzlich vermeiden, indem man eine Ordinate y = y0 wählt, bei der sieh der Wagen U noch selbständig bewegen kann, und mit dem Stift S nur die über dieser Gerade gelegenen Gebiete (in Abb. 5 schraffiert) umfährt. Die Planimeterablesung gibt dann den Wert des Ausdruckes

(√y − √y0) dx = y dx − √y0 (x1x0),

woraus man den gesuchten Integralwert berechnen kann.

6. Das Dreizweitelpotenzplanimeter von A.J. Amsler11) ist insbesondere auch für hydrographische Zwecke gedacht. Nach der äusseren Funktion in dem Integral

(11) V = y3/2 dx,

ist die Feder des Stieltjesplanimeters für diesen Fall zu der Kurve x = t3⁄2 zu formen.

7. Das Integral \int {dx\over y(x)} hat in der letzten Zeit an Bedeutung gewonnen, und zwar hauptsächlich, weil es bei der Bestimmung der Zeit aus dem Weg-Geschwindigkeitsdiagramm angewandt wird. Für dieses Integral hat man auch Spezialinstrumente gebaut, nämlich das Inversionsintegrimeter von Ott12) und den Fahrtgeschwindigkeitsintegraphen von Tuschy13). Bei unserem Apparat dient für diese Aufgabe eine gewöhnliche Hyperbel als Gleitkurve.

8. F(y) und y(x) sind experimentelle Kurven bei manchen Aufgaben, und diese Aufgaben bilden eine der wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten für unser Instrument. Solche Aufgaben stellen sich uns z.B. immer, wenn wir Registrierkurven zu behandeln haben, die von einem Instrument mit nichtlinearer, oft gerade experimentell kalibrierter Skala herrühren, oder wenn wir gleichzeitig eine experimentell definierte Koordinatentransformation und die Integration nach der transformierteil Kurve durchführen wollen. Z.B. führt die photographische Intensitätsbestimmung in der gewöhnlichen und der Röntgenspektroskopie zu dem letztgenannten Fall. Gewöhnlich verfährt man so, dass man zuerst die Transformation graphisch oder gerade mit einem Spezialinstrument14) durchführt und dann die gewonnene Kurve mit einem Planimeter integriert.


Abb. 6.

In der Röntgenspektroskopie registriert das Fotometer nur die Filmschwärzung, und die Intensitätsbestimmung ist erst dann möglich, wenn man auf dem Film sog. Schwärzungsnormalen aufgenommen hat. Aus diesen bekommt man die Normalkurve, welche die Beziehung zwischen der Belichtungsdauer (oder Intensität) und. der von dem Fotometer registrierten Schwärzung enthält. Abb. 6 zeigt die Schwärzungskurve y = ƒ(x) (x = Reflektionswinkel) einer Spektrallinie und die entsprechende Normalkurve Y = F(y) nach einer Messung. Um den grössten Neigungswinkel zwischen der Kurventangente und der t'-Achse möglichst klein zu machen, ist es zweckmässig, die t'-Einheit möglichst gross zu wählen, und um die Messgenauigkeit für grosse und kleine Intensitäten gleich zu halten, kann man die x-Einheit variieren, also für verschiedene Teile der Messungsreihe verschiedene Gleitkurven und damit auch verschiedene Resultateinheiten anwenden.

Oben sind die wichtigsten Fälle erwähnt, wo das Stieltjesplanimeter ein Spezialinstrument ohne weiteres ersetzen kann.

Wenn man gewisse, ursprünglich in Polarkoordinaten gegebene, Kurven in rechtwinklige Koordinaten umzeichnet, so werden noch manche Instrumente ersetzt, wie das Ott'sche Sonderplanimeter für (1 − r²)3⁄2, einige geophysikalische Instrumente von Föttinger, Planimeter für Indikatordiagramme Von Siegenthaler u.a.15)

Das Stieltjesplanimeter ohne Gleitkurve.

Es gibt aber auch, besonders auf dem Gebiete der Wissenschaft, Stieltjesintegrale, wo die Form der beiden Kurven so kompliziert ist, dass es unmöglich ist, sie mit einer verstellbaren Schiene nachzubilden. Bei solchen Aufgaben müssen wir zu dem ursprünglichen Nyströmschen Arbeitsprinzip zurückkehren und also die andere Kurvenführung von einer zweiten Person ausführen lassen.

Gegen die Zusammenarbeit beim Gebrauch des Instrumentes sind Bedenken ausgesprochen worden16) und zwar hat man behauptet, dass sie an die beiden Personen gewisse Forderungen einer Art "Abstimmung" stellte. Dies ist jedoch nach den vom Verfasser gemachten Erfahrungen nicht der Fall, sondern jede Person arbeitet fast selbständig. Die Tätigkeit der zweiten Person besteht in folgendem: Das Reissbrett K gleitet in der t'-Richtung unter der Fahrmarke vorbei, und die Person hat nur diese Marke auf der vorbeigleitenden h(t)-Kurve zu halten. Die einzige Schwierigkeit liegt darin, dass sich das ganze System des Wagens U und der an ihm vorbeigleitenden Kurve auch in bezug auf die feste Unterlage in der t'-Richtung bewegt, wenn auch schwach. Damit die Bewegung des Fahrstiftes S in jeder Richtung frei wäre, darf die erwähnte zweite Person die Bewegung des ganzen Apparates in der t'-Richtung nicht bremsen. Nach einiger Übung gelingt dies jedoch befriedigend. — Die notwendige Bedingung guter Resultate bei dieser Arbeitsweise ist natürlich, dass der Stift S sich auf der Unterlage langsam und möglichst gleichmässig bewegt.

Die erwähnte geringe Schwierigkeit kann aber durch eine Verbesserung der Konstruktion gänzlich vermieden werden. Wie aus Abb. 7 ersichtlich, bewegt man den Wagen U mittels einer Gabelstange J, welche zwischen drei Rollen gleitet und so die gegenseitige Bewegung der Hand und des Apparates in der t'-Richtung zulässt.


Abb. 7.

Zür Prüfung unseres Instrumentes bei dieser Arbeitsweise bestimmen wir die Koeffizienten der Entwicklung einer Funktion nach den Kugelfunktionen. Wir wählen die Funktion, welche durch die Gleichungen

y = 1 + t   für   −1 < t0
y = 1 − t   für   0t < 1

definiert ist17). In ihrer Entwicklung

y = ƒ(t) = c0 +
Σ
n=1
cn Pn(t)

werden die Koeffizienten durch die bestimmten Integrale

c0 = ½ +1

−1
ƒ(t) dt
cn = ½ (2n + 1) +1

−1
ƒ(t) Pn(t) dt

definiert. Von dem ersten Integral abgesehen, welches durch einfaches Planimetrieren berechnet wird, bringt man diese Integrale in die Form (1), indem man (n + ½) · Pn(t) = h'n (t) setzt. Dann ist nach den Eigenschaften der Kugelfunktionen

x = hn(t) = (n + ½) t

 
Pn(t) dt = ½ (Pn+1(t) − Pn−1(t))

Wegen der grossen Krümmung und Steilheit der entsprechenden Kurven ist es nicht möglich, dieselben mit unserer primitiven Gleitkurve weiter als bis n = 5 nachzubilden. In folgender Tabelle sind in den ersten vier Kolumnen die Ergebnisse der von verschiedenen Personen zu zweit durchgeführten Messungen, in der fünften Kolumne die mit zwangläufiger Kurvenführung gemessenen c2 und c4 und in der letzten die exakten Werte angegeben.

Tabelle IV.
c0
c2
c4
c6
c8
c10
c12
I II III IV V Exakte
Werte
10-3
 
−622±4
+186±3
−  98±3
 
 
 
10-3
 
 
 
 
+  67±2
−  53±5
+  32±5
10-3
 
 
+190±3
−  99±2
+  65±3
 
 
10-3
 
 
 
−102±2
+  65±2
−  55±3
 
10-3
 
−619
+186
 
 
 
 
10-3
+500
−625
+187,5
−101,6
+  66,4
−  58,1
+  36,6

Abb. 8.

Abb. 9.

Jeder Wert ist das Mittel von fünf Umfahrungen und die mittleren Fehler des Mittels sind angegeben.

Schlussbemerkung.

Das Stieltjesintegral (1) ist eine sehr zweckmässige Form für manche Aufgaben, die ein bestimmtes, nicht einfaches Integral enthalten. In der Tat hat es sich als möglich erwiesen, alle mit den bisher konstruierten Potenz- oder Funktionsplanimetern auswertbaren Integrale in diese Forin zu bringen. Das Stieltjesplanimeter kann also alle solche für Sonderaufgaben gebauten Planimeter ersetzen, die in rechtwinkligen Koordinaten arbeiten. Die Genauigkeit, womit unser Planimeter das Resultat gibt, ist fast derselben Grössenordnung wie die eines gewöhnlichen Polarplanimeters, was bei den meisten Aufgaben genügt. Die grösste Bedeutung des neuen Instrumentes besteht jedoch darin, dass sieh mit ihm die oft in der Theorie und in der Praxis vorkommenden allgemeinen Stieltjesintegrale auswerten lassen, welche sonst zu langw ierigen numerischen oder graphischen Rechnungen führen.

Anstatt das Stieltjesplanimeter als Zusatzgerät zu einem schon früher vorhandenen Instrument zu bauen, kann man auch ein Instrument speziell für Stieltjesintegrale konstruieren. Diese Konstruktion könnte nach der halb schematischen Abb. 8 erfolgen. Der wesentlichste Unterschied zwischen dieser und der obigen Konstruktion liegt darin, dass das Polarplanimeter durch ein in dem Apparat inbegriffenes Scheiben-Rollplanimeter ersetzt ist, dessen Scheibe von der Zahnstange Z an der Laufschiene L gedreht wird. Zugleich kann man den Apparat in technischer Hinsicht zu einem Präzisionsinstrument vervollkommnen. Z.B. kann man die Gleitkurven für die wichtigsten Spezialfälle, besonders auch für die Entwicklung nach Kugelfunktionen, in Form von Schlitzen liefern, welche genauer als die gebogenen Federlineale arbeiten. Dadurch bekommt man ein Universalinstrument in dem eigentlichen Sinne des Wortes, das trotzdem die höchsten Forderungen der Genauigkeit erfüllt.

Es sei noch erwähnt, dass dieses Instrument zu einem Stieltjes-integrimeter18) mit variabler Basis umgestaltet werden kann. Dies erreicht man durch Hinzufügung eines nur in der t-Richtung gleitenden, von dem Stift S bewegten Schlittens, wie Abb. 9. zeigt. — Die Theorie des Instrumentes ist kurz folgende.

Die Stellung der beiden Koordinatensysteme ist die gleiche wie bei dem ursprünglichen Apparat, jedoch ist jetzt auch die Lage der t'-Achse bestimmt, und zwar so, dass für x = 0 die Integrierrolle über dem Mittelpunkt der Scheibe liegt. Dann ist die Entfernung der Rolle von dem Scheibenmittelpunkt x = h(t), wenn die Fahrmarke m des Schlittens auf dem Punkt (t,y) steht. Führt man nun m längs der Kurve y = ƒ(t) von t bis t + dt, so bewegt sich der ganze Apparat in der y-Richtung um die Strecke dy = ƒ(t) dt, und für den Drehungswinkel dφ der Scheibe gilt

dφ = k dy,

wo k eine Konstante ist. Ist der Radius der Integrierrolle ρ, so ist offenbar die Drehung der Rolle

dω = x
ρ
= k
ρ
x dy

Wenn sich s von t0, bis t bewegt, gilt für den entsprechenden Drehungswinkel ω − ω0 der Rolle

ω − ω0 = k
ρ
 t 

t0 
x dy = k
ρ
 t 

t0 
h(t) dƒ(t) .

Das Instrument gibt also von Punkt zu Punkt den Wert des unbestimmten Stieltjesintegrals, und durch Ablesung in Intervallen ist es möglich, auch die entsprechende Kurve nachträglich züi konstruieren.

Das Stieltjesplanimeter in Funktion
Abb. 10. Das Stieltjesplanimeter in Funktion.

Zusammenfassung.

Es ist ein neues Stieltjesplanimeter nach dein ursprünglichen Instrument von E.J. Nyström entworfen und gebaut worden. Das neue Planimeter ist mit zwangläufiger Kurvenführung versehen. Mit dem Instrument sind verschiedene Messungen ausgeführt worden, welche zeigen, dass es die Messungsergebnisse mit einer Genauigkeit von etwa 1 % liefert und alle bis jetzt konstruierten zusammengesetzten Planimeter ersetzen kann. Für die Bedienung des Apparates durch zwei Personen, die immerhin bisweilen notwendig ist, wird eine Konstruktionsverbesserung mitgeteilt und es werden Messungen referiert, welche zeigen, dass auch in diesem Fall fast die gleiche Genauigkeit leicht und ohne lange Übung erreicht werden kann. — Zuletzt wird auf eine Möglichkeit hingewiesen, ein spezielles Präzisions-Stieltjesplanimeter und sogar ein Stieltjesintegrimeter zu bauen.

Gedruckt März 1939.


Notes

1)
Systematik von Meyer zur Capellen, Zeitschr. f. Instr. 58. 93. 1938.
2)
Nessi et Nisolle: Appareils pour le Calcul, Paris 1932.
3)
E.J. Nyström, Ein Instrument zur Auswertung von Stieltjesintegralen (Soc. Scient. Fenn., Comm. Phys.-Math. IX. 4. 1936.)
4)
Vgl. Der Harmonische Analysator Mader-Ott, Druckschrift Ad 341 des Math.-mech. Instituts A. Ott, Kempten, Bayern.
5)
A. Galle: Mathematische Instrumente, Leipzig u. Berlin 1912.
F. Willers: Mathematische Instrumente, Leipzig 1926.
P. Werkmeister, Zeitschr. f. Instr. 54, 410, 1934.
6)
Spezialinstrumente zur Bestimmung von Trägheitsmomenten sind u. a. in folgenden Werken beschrieben:
Meyer zur Capellen, Zeitschr. f. Instr. 57, 103, 1937.
P. Werkmeister, loc. cit.
A. Galle, loc. cit.
Harvey-Analysator, Prospekt der Fa. Amsler.
7)
Studierende der Physik u. Mathematik an der Universität Helsinki. Jede Person führte die ganze Messung durch, formte also auch die Feder zu der kubischen Parabel.
8)
Abdank-Abakanowitsch, Les Intégraphes (Paris 1886).
A. Galle, loc. cit.
9)
H. Adler: Ein Spezialinstrument zur Bestimmung von Effektivwerten E.T.Z. 52, 1387, 1931.
10)
P. Werkmeister, Zeitschr. f. Instr. 52, 324, 1932.
H. Adler, Zeitschr. f. Vermessungswesen 1932.
11)
Meyer zur Capellen, loc. cit.,
Prospekt der Fa. Amsler.
12)
A. Ott, die Messtechnik 1936, Heft 3.
13)
Meyer zur Capellen, loc. cit.
14)
Der Aperiodograph der Fa. Coradi.
15)
Meyer zur Capellen, loc. cit.
16)
Meyer zur Capellen, loc. cit.
17)
Für diese Funktion berechnete auch Nyström (loc. cit.) mit seinem Instrument die Koeffizienten c4 und c6.
18)
Benennung nach der Systematik von Meyer zur Capellen.